in Hamburg 

e.V.

VEREINSGESCHICHTE 

 

Tagung: Anwalt des Kindes:  Qualitätsanforderungen eines neuen Arbeitsfeldes vom 3.2.-5.2.99 in Bad Boll

Was bringt die Verfahrenspflegschaft den Kindern?
Konsequenzen aus den Erfahrungen
von Hans-Günter Werner
Vorstellung
Ich bin von Beruf Pastor und arbeite in Wedel im Bereich der Nordelbischen Kirche schwerpunktmäßig in einem Arbeitslosenzentrum. Vor über 15 Jahren hat sich mit aus meiner Gemeindearbeit die Idee entwickelt, dass ein Anwalt des Kindes überall da notwendig ist, wo Kinder und Jugendliche in die Mühlen der Justiz zu geraten drohen oder schon geraten sind - die Mühlen der Behörden eingeschlossen.
Mit anderen Gleichgesinnten wurde damals der Verein Anwalt des Kindes in Hamburg e. V. gegründet. Er setzte sich zum Ziel, die allgemeine Forderung nach eigenständiger Vertretung von Kindern und Jugendlichen in gerichtlichen und behördlichen Verfahren nicht nur politisch zu verbreiten, sondern auch modellhaft zu untermauern.
1987 wurde mit Hilfe von Arbeitsbeschaffungsmitteln der Bundesanstalt für Arbeit eine Beratungsstelle „Anwalt des Kindes“ gegründet, in der ein Team bestehend aus einer Juristin, einer Psychologin, einem Sozialpädagogen und einer Verwaltungskraft, die den sogenannten „gesunden Menschenverstand“ verkörperte, zeigen sollten, dass ein interdisziplinäres Team besser in der Lage ist, Lösungen zum Wohl des Kindes herbeizuführen als eine Einzelperson.
Über Prof. Salgo, der sich an uns wandte und seine Unterstützung anbot, wurden wir mit den bisherigen Erfahrungen weltweit und insbesondere aus England vertraut gemacht.
Nach drei Jahren mussten wir die Beratungsstelle wieder schließen, weil - obwohl in Aussicht gestellt - die Stadt Hamburg kein Geld dafür zur Verfügung stellen wollte.
Um die aus über 400 zum größten Teil erfolgreich abgeschlossenen Fälle erworbenen Erfahrungen nicht zu verlieren, beschlossen wir, 1993 mit der berufsbegleitenden Ausbildung zum „Anwalt des Kindes“ als Teil eines interdisziplinären Tandems aus juristischen und pädagogisch-psychologischen Sachverstand zu beginnen. Anregungen erhielten wir dazu besonders von dem englischen Modell.
Die Ausbildung dauerte zwei Jahre mit vierzehntägigem zweistündigem Unterricht. Der Unterricht bestand zur Hälfte aus einschlägige Theorie, bezogen auf die besonderen Aufgaben, Kinder und Jugendliche in Verfahren zu vertreten, und zur anderen Hälfte aus Einüben der Haltung: Vertreter und nicht Vormund des Kindes zu sein und das als interdisziplinäres Team. Dabei wurden insbesondere die Erfahrungen der früheren Mitarbeiter der Beratungsstelle direkt eingebracht. An diese zweijährige theoretisch-rollenspielpraktische Ausbildung schloss sich eine einjährige Praxis in der konkreten Fallbearbeitung an. Mittlerweile haben wir den zweiten Kurs abgeschlossen und werden im April 1999 mit dem dritten beginnen. Bisher haben wir 24 Personen so zu AnwältInnen des Kindes ausgebildet. Im Augenblick sind davon acht aktiv.
Konsequenzen aus unseren Erfahrungen
1. Ziel des „Anwalts des Kindes“ sollte sein,
• daß die vom Streit oder dem Verhalten der Erwachsenen betroffenen Kinder und Jugendliche angemessen und eigenständig in anhängigen Verfahren vertreten und ihre Interessen und Vorstellungen berücksichtigt werden. Vor allem bei Sorge- und Umgangsrechtsentscheidungen darf nicht gegen ihren erklärten Willen entschieden werden,
• dass eine Lösung gefunden wird, mit der das Kind/ der Jugendliche leben kann und bei der es /er sich bestmöglich entwickeln kann (Wohl!). Das Schlimmste für Kinder und Jugendliche sind lange, ungeklärte Verhältnisse und langandauernder Streit.
1. Diese Ziele können aus unserer Erfahrung am besten erreicht werden durch ein interdisziplinäres Team bestehend aus pädagogisch/psychologischem und juristischen Sachverstand, das ausschließlich den erklärten Willen des zu vertretenden Kindes/ Jugendlichen in das Verfahren einbringt.
Denn dadurch wird am besten gewährleistet, daß das Kind/ der Jugendliche wieder in den Blick der streitenden Erwachsenen/Behörden gerät. Es wird vermieden, daß eine zusätzliche Streitpartei auftritt, die sich um das Wohl des Kindes/Jugendlichen kümmern will. Denn davon gibt es schon genug: Die sich streitenden Sorgeberechtigten jeder für sich, das Jugendamt, das Gericht.
2. Aufgabe von „Anwalt des Kindes“ sollte es sein,
• alle auf die Grundverantwortung „Wohl“ hin anzusprechen,
• ihren Blick wieder darauf zu lenken, was ihr bisheriges Verhalten bei dem Kind/ Jugendlichen bewirkt hat und
• sie einzuladen, nach Lösungen zu suchen, mit denen auch das betroffene Kind/bzw. der Jugendliche leben kann.
1. Das gelingt nach unserer Erfahrung am besten,
• wenn das Team durch das Kind/den Jugendlichen ausdrücklich mit seiner Interessenvertretung beauftragt wurde.
• wenn allen Streitparteien vor allem durch das Verhalten glaubhaft gemacht werden kann, daß „Anwalt des Kindes“ wirklich nur den erklärten Willen des Kindes/Jugendlichen vertritt.
1. In der Ausbildung sollte daher
• besonders die Haltung eingeübt werden, als erwachsene Fachleute sich wirklich nur als Sprachrohr des betroffenen Kindes/Jugendlichen zu begreifen
• sowie die Fähigkeiten geschult werden, den Willen des Kindes zu ermitteln und in das Verfahren in geeigneter Weise einzubringen. Nicht als Streitpartei sondern als Interessenvertretung, die Lösungen anstrebt, mit denen das Kind/ der Jugendliche leben kann und die den Streit der Erwachsenen beenden helfen (Rechtsfrieden).
1. Auswahl der einzusetzenden „Anwälte des Kindes“ und deren Kontrolle sollte durch ein Gremium geschehen, wie z.B. in Hamburg die vierzehntägig tagende Mitarbeiterrunde, in der der Vorstand des Vereins Anwalt des Kindes und die aktiven MitarbeiterInnen gemeinsam die anstehenden Fälle besprechen und verteilen. Alle Teams, die einen Auftrag bearbeiten, sind verpflichtet an diesen Treffen teilzunehmen und die Fälle besonders dann einzubringen, wenn im Team Uneinigkeit über Einschätzung und Vorgehen herrscht. Auch alle MitarbeiterInnen, die eingesetzt werden möchten, sind gehalten an diesen vierzehntägigen Treffen teilzunehmen, was in einem Mitarbeitervertrag geregelt ist.
2. Die Bezahlung der Teams sollte nach den Regelungen von Gutachtertätigkeit gefordert werden, nicht nach dem Betreuungsgesetz. Der Satz von höchstens 60 DM ist zu gering. In Hamburg verlangen wir bislang 77 DM pro Person und eingesetzter Stunde, zusätzlich den tatsächlichen Aufwand.
3. Die bisherigen und die zukünftigen Erfahrungen, besonders in Hamburg, sollten wissenschaftlich ausgewertet werden. Ziel dieser Untersuchung könnte es sein, herauszufinden, ob die hohe Qualität der Ausbildung und die Interdisziplinarität des Teams, tatsächlich wie von uns aus unseren Erfahrungen abgeleitet, eher zu einer Lösung führt, die dann auch Rechtsfrieden schafft, als anderes- und somit am Ende sogar kostengünstiger ist, als niedrigere Ansprüche an Ausbildung und Einsatz.